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Roberto Zucco

Mit „Roberto Zucco“ schrieb Bernard Marie Koltés 1988 ein gesellschaftskritisches und moralisches Werk über einen jungen Mann, der versucht seine persönliche Freiheit in einer überspitzt dargestellten Öffentlichkeit zu finden. Jener sucht die letzte Barriere ausnahmsloser Freiheit, die Moral, zu durchbrechen, was jedoch zu seinem Scheitern führen muss.

Koltés orientierte sich dabei an dem historischen Roberto Zucco, der im Entstehungsjahr des Dramas, seine Eltern ermordete, aus dem Gefängnis ausbrach, Geiseln nahm, sechs weitere Menschen ermordete und erneut ins Gefängnis kam. Dann brach er wieder aus, zog sich nackt auf dem Gefängnisdach aus, beschimpfte die Welt und stürzte sich danach in die Tiefe. „Stellen Sie sich das im Theater vor!“, hatte Koltés geäußert, nachdem er diesen Fall recherchiert hatte.

Auch in Koltés’ Werk gibt es einen Roberto Zucco, welcher seine Eltern und einige seiner Mitmenschen umbringt. Jedoch versucht jener Roberto Zucco seine persönliche Freiheit zu erlangen und weiß sich nicht anders zu helfen. Er sei kein „Held“, kein Mörder im eigentlichen Sinne. Vielmehr „zerquetsche [er] die anderen Tiere nicht aus Bosheit, sondern weil [er] sie nicht gesehen habe[…]“, wie es im Text heißt. Es geht Zucco in diesem Stück darum gesellschaftliche Instanzen, wie Eltern, Familie, staatliche Ordnung, Polizei, ja sogar moralische Normen zu durchbrechen. Alles um der Suche nach eigener Identität willen. Hierbei entsteht eine eigenartige Polarität. Je mehr Zucco versucht sich aus der Gesellschaft zu befreien, „unsichtbarer“ zu werden, um sich selbst zu finden, desto mehr verliert er seine Identität, sein Ego, sein Selbst. Denn er befreit sich aus einer normativen Gesellschaft, welche jedes seiner menschlichen Bestandteile erst die Möglichkeit zu einer Egobildung gibt. Und ein Individuum, welches seine Identität von einer moralischen Gesellschaft erhält, muss ein moralisches Wesen sein.

Der nun um seine Identität kämpfende Zucco erkennt, dass er das Schlimmste aller Verbrechen begangen hat, die Ermordung eines Kindes. Der trotz allem gewitzte und charmante Frauenschwarm Zucco, welcher sich lange Zeit vor der Polizei verstecken kann, scheitert.
Auch er, obgleich er solche brutalen Mittel wie Entführung und Mord ohne erkennbare Motivation einsetzte, vermag nicht diese letzte Grenze zur ausnahmslosen Freiheit, die Moral, zu überwinden. Ihm bleibt nichts mehr, als sich der Polizei zu stellen und schließlich seinem Leben im Wahnsinn ein Ende zu bereiten.